Auf Tour mit der Rostocker Tafel
Die Tafel-Fahrer klappern täglich Dutzende Supermärkte ab, um Lebensmittelspenden einzusammeln
Ein Artikel von Virginie Wolfram, Ostseezeitung 8.12.2022
Schutow | Noch im Dunkeln starten die ersten Tafel-Fahrer morgens ihre Touren. Ihr Ziel: neue Lebensmittel für die rund 5000 Bedürftigen besorgen. Was sie aus den 110 Supermärkten und Discountern in Rostock und Umgebung bekommen, wird leider immer weniger, bedauert der Koordinator der Sammelstelle, Christian Berndt.
Denn die Rostocker Tafel hat – wie nahezu alle Tafeln bundesweit – ein großes Problem. So viele Menschen wie noch nie brauchen die Lebensmittel – aber die Supermärkte haben immer weniger Waren übrig. Es reicht nicht, um alle, die etwas bräuchten, auch zu versorgen.
Die OZ ist mit zwei Fahrern auf Lebensmittel-Tour gegangen, um zu sehen, was die Ehrenamtlichen und sog. Ein-Euro-Jobber an den Anlaufstellen gespendet bekommen. Die Ausbeute ist nicht nur mager, sondern manchmal auch beschämend.
Euro-Jobber als Fahrer: „Man weiß hier, wofür man es macht“
Gegen halb elf herrscht geschäftiges Treiben auf dem Gelände der Tafel-Sammelstelle in Schutow. Drei Transporter rollen vom Hof. „Wir fahren jetzt die Südstadt-Tour“, sagt Fahrer Michael, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Drei Touren zu rund 30 Läden hat der Euro-Jobber gemeinsam mit Beifahrer Tommy, der ebenfalls über das Jobcenter zur Tafel gekommen ist.
Beide gehören zu den Ersten, die mitbekommen, ob es ein guter oder schlechter Tag in Sachen Ausbeute wird. Michael ist ein ruhiger Mann mit Brille in den 50ern. Früher war er Lkw-Fahrer, dann erschütterten mehrere Todesfälle die Familie und er musste seinen Job aufgeben, um sich zu kümmern. Seit zweieinhalb Jahren fährt er nun als Euro-Jobber für die Tafel. Es macht ihm Freude. „Man weiß ja, wofür man es macht. Das ist ein gutes Gefühl“, sagt Michael. Der Rostocker fährt an diesem Tag bei Lidl in der Tschaikowskistraße auf den Hof. Beifahrer Tommy springt raus: „Ich gebe drinnen Bescheid, dass wir da sind.“
An der Laderampe stehen bereits freundliche Mitarbeiter mit einigen Paletten. Man kennt sich gut, der Ton ist nett. „Wenn der erste Laden wenig hat, haben alle wenig“, prophezeit Michael und steigt aus. Als er angefangen habe, hätten sie überall zwei bis drei prall gefüllte Paletten mit gutem, frischem Obst und Gemüse bekommen. Jetzt müsse sehr viel aussortiert werden.
Eine Kiste voll mit vergammelten Kartoffeln und Obst
Im ersten Laden fällt die Ausbeute an diesem Tag überschaubar aus. „Die Läden verkaufen weniger. Viele Geschäfte lassen die Sachen länger als früher in den Regalen“, sagt Michael. Was das für die Tafel bedeutet, zeigt sich im nächsten Supermarkt. Es gibt drei Paletten mit Kohl, Himbeeren, Pflaumen, Äpfeln und Paprika. Als Tommy eine Kiste anhebt, läuft unten bereits eine gammelige Suppe an der Seite heraus. Die Waren sind verdorben, es riecht bereits streng. Er schiebt die Palette zurück und inspiziert die nächste. Schimmelschicht auf den Himbeeren, Gurken und Tomaten. Das Brot und die Brötchen sind steinhart. Nur wenige Waren eignen sich hier zum Mitnehmen.
„Das war leider wieder mal gar nichts“, sagt Tommy und setzt sich wieder in den Transporter. Ihn ärgert es, dass manchmal so schlechte Lebensmittel überreicht werden. „Es ist ja schlimm genug, wenn die Menschen sich bei der Tafel anstellen müssen, aber man kann so was nicht anbieten. Die Leute haben auch ihren Stolz“, findet der Ein-Euro-Jobber. Die Verkäufer äußerten auch oft ihr Bedauern, dass es nur noch so wenige Waren gebe.
Joghurts, Milch, Wurst und Butter sind seltener zu bekommen
Ein Lichtblick gibt es diesmal im Cap Markt: Mehrere Paletten Brötchen, Brezeln, Joghurts, Blumenkohl, Fischkonserven und auch Wurst wandern in die Kisten des Transporters. Michael schichtet die Waren um. Molkerei- und Wurstwaren sind in diesen Zeiten besonders selten dabei. Die Tafel muss deshalb Extratouren in entfernte Städte, wie Lüneburg und Neustrelitz, fahren, um solche Waren zu bekommen.
Im Kaufland in der Südstadt warten diesmal nicht nur Lebensmittel auf die Fahrer. „Ich habe ganz viel außer der Reihe für euch, wenn ihr wollt“, ruft ein Mitarbeiter und winkt. Was er meint, ist unter anderem ausrangierte Sommerware. Ganz viel Grillzubehör, Pizzableche, aber auch etliche Schreibwaren für die Schule, wie Kleber und Blöcke, sowie Freundschaftsbücher für Kita-Kinder sind dabei. Goldstaub. Blattsalate, Milchpakete und Pilze wandern auch über die Laderampe.
Hygieneartikel wie Goldstaub: für viele Bedürftige nicht bezahlbar
Es stehen noch Netto, Penny, Rewe und Lidl-Stationen auf dem Plan. In einigen ist die Ausbeute ganz gut, oft kommt aber nicht mal eine Palette zusammen. Heiß begehrte Ware hat wiederum der Drogeriemarkt Rossmann. Tommy schleppt Katzenstreu, Rasierklingen, Windelpakete, Damenbinden, Zahnbürstenaufsätze und andere Hygieneartikel in den Transporter. „Die Sachen sind bei den Bedürftigen sehr gefragt, weil sie sehr teuer sind“, weiß der gelernte Maurer. Darüber werden sich viele freuen. Denn Drogeriemärkte stehen nicht täglich auf dem Tourenplan der Männer.
Insgesamt 16 Ausgabestellen hat die Rostocker Tafel. Einmal die Woche können die Bedürftigen, die gelistet sind, kommen, um ihre Waren zu holen. „Es sind jetzt in der Krise auch welche dabei, die sonst nicht bei uns waren“, sagt Christian Berndt. 2022 musste erstmals ein Aufnahmestopp verhängt werden. Die Tafel betreut derzeit insgesamt 1500 bedürftige registrierte Personen. Zusammen mit ihren Familien sind das rund 5000 Menschen. Die Spenden bei der diesjährigen OZ-Weihnachtsaktion in Rostock sollen der Tafel und damit den Bedürftigen zugutekommen. Zu wenig Lebensmittel sind das eine Problem. Außerdem sind die Kosten stark gestiegen. Sowohl Benzin für die Transporter der Tafel als auch Strom, um das Kühlsystem für die Waren am Laufen zu halten, sind sehr teuer geworden.
(OZ, 08.12.2022)